NEUSS | Sicher, überraschend kam das jetzt nicht mehr. Das Internationale Olympische Komitee (IOC) und die japanische Regierung einigten sich am Montag darauf, die Olympischen Sommerspiele wegen der Corona-Pandemie um ein Jahr zu verschieben (23. Juli bis 8. August 2021). Die richtige Entscheidung, findet auch Alexandra Höffgen, obwohl die Ausdauerathletin des Neusser Rudervereins nach dem Trainingslager vor zwei Wochen in Spanien noch vor Energie gestrotzt hatte: „Ich bin gut drauf und fit wie noch nie.“
Aber mit Blick auf die abgesagten Qualifikationsrennen hatte sie schon da eine tiefe Verunsicherung geplagt. Und genau darum kann sie mit der überfälligen Entscheidung des IOC gut leben. „Ja, es ist noch frisch, aber auf jeden Fall eine Erleichterung zu wissen, dass die Spiele verschoben werden“, sagt sie nüchtern: „Aus gesellschaftlicher Sicht in Bezug auf Sicherheit und Gesundheit wären die Spiele nicht sinnvoll möglich gewesen. Wir haben nach wie vor nur die Möglichkeit, zu Hause zu trainieren. Eine gute Vorbereitung ist auf absehbare Zeit nicht möglich, schon gar nicht im Boot. Deshalb freue ich mich darüber, dass wir nächstes Jahr die Chance bekommen, uns den olympischen Traum zu erfüllen.“
Einfach ist die Situation für die 26-Jährige freilich nicht. Eigentlich ist sie gerade sogar ziemlich hart, „weil wir aus dem Trainingslager gekommen sind und maximal viel trainiert haben, um in sieben Wochen auf den Punkt fit zu sein.“ Da nun jedoch erstmal keine Regatten anstehen, muss das gesamte Training umgestaltet werden, erinnert aktuell eher an die Einheiten im Winter mit mehr Grundlagen und weniger Intensität. Das Dilemma für die Kleinenbroicherin und ihre Kolleginnen im neuformierten Achter: „Wir können aber auch keine Pause machen, weil wir nicht genau wissen, ob und wann es in diesem Jahr noch Regatten geben wird. Außerdem ist es physisch nicht möglich, plötzlich von 100 auf 20 Prozent oder so zu gehen, was wir in unserer eigentlichen Pause tun würden.“
Darüber hinaus muss in nächster Zeit alles an Land gemacht werden – auf dem Ruderergometer, dem Rennrad oder im Wald mit geschnürten Laufschuhen. Mangels passender Gewichte absolviert sie ihr Krafttraining per HIIT-Workout (High Intensity Interval Training zur schnellen Fettverbrennung) auf der heimischen Terrasse. „Das ist vor allem mental eine Herausforderung, da das Ziel nicht greifbar ist.“
Weil die angehende Maschinenbauingenieurin aber streng pragmatisch aufgestellt ist, nimmt sie die Verschiebung für sich und ihre Mitstreiterinnen sogar als „Chance, da wir jetzt ein Jahr mehr Zeit haben, um uns vorzubereiten und einzufahren. Mit dem Trainerwechsel im letzten Jahr ist die Umstellung noch relativ frisch und die Fortschritte sind gut, so dass damit zu rechnen ist, dass wir uns bis nächstes Jahr nochmal deutlich steigern können. Das ist, zugegeben, der Vorteil, wenn man noch nicht an der Leistungsgrenze angelangt ist und dieses Niveau dann mühevoll halten muss.“
Dennoch will sie sich Zeit geben, Pläne für die Zukunft zu schmieden. „Was ich mache, hängt, wie gesagt, von den geplanten Wettkämpfen, dem neuen Saisonfahrplan und natürlich auch von der Uni ab. Auch hier hätte ich große Vorteile, wenn es mehr Online-Kurse gäbe, da ich dann auch aus Potsdam in Dortmund studieren könnte.“ Eines ist für die ehemalige Basketballerin der TG Neuss allerdings klar: Der Traum von Olympia lebt! „Nach Tokio zu fahren, dieses Ziel möchte ich im nun anstehenden Jahr in Angriff nehmen. Ich sehe in der Verschiebung vor allem das Positive und nicht den zusätzlichen Kraftakt eines olympischen Jahres mit dem enormen Trainingsaufwand.“ Und weil sie immer auch was für den Kopf braucht, hat sie sich zusammen mit dem Betreuer ihrer Bachelorarbeit vorgenommen, ein Papier über die Ergebnisse ihrer Forschungen im Bereich Werkstofftechnologie (Titan) zu veröffentlichen. „Das ist im Home Office erstmal gut möglich, die meisten Experimente habe ich nämlich schon gemacht.“
Alexandra Höffgen lässt sich eben nicht unterkriegen – so wie damals, als ein Kreuzbandriss ihre hoffnungsvolle Basketball-Karriere beendete und sie zum Rudern fand. Wer rastet, der rostet. „Ich suche mir neue Ziele, motiviere mich neu, auch wenn mir das mal besser und mal schlechter gelingt.“
Info
Das sagen die Ruderer zur Olympia-Verlegung
Hannes Ocik (Schlagmann Deutschland-Achter) „Die letzten Wochen waren eine Schinderei. Alles war auf Olympia ausgerichtet – und all das bricht jetzt wie ein Kartenhaus zusammen.“
Johannes Weißenfeld (Achter) „Die Gesundheit der Menschen hat Vorrang. Daher ist die Entscheidung nachvollziehbar, aber sie macht mich auch traurig.“